Die Synode zu Reisbach 799

1. Die Zeit und Umstände, die zur Synode von Reisbach führten.

Nach  dem Sturz von Tassilo III im Jahr 788 kamen die bayerischen Bistümer unter den Einfluss und Schutz vom karolingischen Herrscher Karl dem Großen. Bereits unter Herzog Theodo hatte ein Prozess begonnen, der unter Bonifatius fortgeführt wurde. Nun konnte er in die Tat umgesetzt werden:  die Schaffung einer bayerischen Kirchenprovinz mit der Einführung einer Metropolitanverfassung.

Am 20. April 798 empfing der Salzburger Bischof Arn aus der Hand des Papstes Leo III. in Rom das Pallium. Damit wurde er Erzbischof, die Diözese Salzburg Erzbistum und Bayern Kirchenprovinz.  Zu dieser Kirchenprovinz gehörten die vier von Bonifatius gegründeten Bistümer Regensburg, Passau, Salzburg und Freising. Ferner wurden zur neuen Kirchenprovinz zwei weitere Bistümer zugeordnet: Säben (Tirol) und Neuburg im Staffelsee (der oberbayerische Teil der jetzigen Diözese Augsburg, der wenige Jahre später mit der Diözese Augsburg vereinigt worden ist und dann der Mainzer Kirchenprovinz eingegliedert wurde; diese Diözese existierte weniger als 90 Jahre).

Der mit der Erzbischofswürde betraute Arn, ein Vertrauter, Diplomat und zugleich „Königsbote“ Karls des Großen, hatte nun die Aufgabe, nach fränkischem Vorbild Ordnung in die Bayerische Kirche zu bringen. Er sollte Bischöfe und Klerus für eine Reform gewinnen. Und dazu diente die Provinzialsynode.

Synoden gab es auch bereits vorher in Bayern, nämlich seit Tassilo III. Belegt sind jene von Aschheim (um 756), Dingolfing (um 770, bei der auch der Abt Ilsungus von Wessobrunn anwesend war und anschließend das dem Kloster Wessobrunn geschenkte Reisbach besuchen wollte) und Neuching (771). Hier ging es bereits um die Wiederherstellung alter Normen, um die Auseinandersetzung mit Problemen der Zeit.

Zu einer ersten großen Synode hat Erzbischof Arn Bischöfe und Äbte nach Reisbach eingeladen. Das Tagesdatum ist überliefert, wenn auch in einer späteren Quelle: 20. Januar 799. Das war damals ein Sonntag. Das zeigt, dass Arn sehr schnell gehandelt hat. 9 Monate nach der Gründung der Kirchenprovinz hat er also zu dieser Synode eingeladen. Die Synode wurde fortgesetzt in Freising und abgeschlossen in Salzburg. Darum wird sie als „Tripelsynode“ bezeichnet. 47 Kanones sind davon überliefert. Die ersten fünf wurden in Reisbach verabschiedet, die nächsten 26 in Freising, die restlichen in Salzburg. Aber alle Beschlüsse bilden eine Einheit, zählen also als Ergebnis einer Synode, die eben am 20. Januar 799 in Reisbach begann.

2. Die Teilnehmer der Synode

Die Teilnehmer waren neben Erzbischof Arn von Salzburg alle anderen damaligen bayerischen Bischöfe: Waltrich, Bischof von Passau; Adalwin, Bischof von Regensburg; Atto, Bischof von Freising; Alim(us), Bischof von Säben; Sintpert, Bischof von Neuburg und Augsburg. Ferner die Äbte Urolf von Niederaltaich, Luitfrid von Chiemsee, Johannes von Tegernsee, Hatto von Wessobrunn, Wolfdiegi von Kremsmünster, Wolfdret von Cremona (?) (2) Anno von Münchsmünster und vielleicht Cundham von Isen und Reginbert von Moosburg, sowie einige Erzpriester, Priester und Diakone.

Der Synodentext führt bei den Unterzeichnenden auf: Arno, Erzpriester; Ellanod, Erzpriester; Baldrich, Erzpriester; Amannus, Erzpriester; Elimatus, Erzpriester; Meginhard, Canzzon, Luitprand, Priester und Pfarrer; Hildebertus, Wolffdretus und Sintolfus, Diakone.

3. Arn, Erzbischof von Salzburg, der Einladende der Synode

Arn wurde um 740 geboren. Er stammte aus einer Familie, die zu den bayerischen Führungsschichten zählte.  Arns Vater Haholt, von einem seiner Gegner auf den Tod verwundet, sorgte sich um sein Seelenheil wie um die Zukunft seines Sohnes.  Am 25.  Mai 758 wurde Arn von seinen Eltern in St. Zeno an der Isen dem Bischof Joseph von Freising für den geistlichen Dienst übergeben. An der Freisinger Domschule ausgebildet, war Arn spätestens 765 ranghoher, wenn nicht ranghöchster Diakon des Bistums, wurde aber erst 776 Priester.  Wahrscheinlich wurde er im nordfranzösischen Saint-Amand-les-Eaux782 zum Abt geweiht.  Nachdem Bischof Virgil am 27.  November 784 gestorben war, wurde er 785 neuer Salzburger Oberhirte. Karl der Große hat vermutlich seinen Wunschkandidaten erhalten. Zugleich war er Abt von St. Peter in Salzburg. Arn blieb als Bischof von Salzburg zugleich Abt von Saint-Armand nahe der heute französisch-belgischen Grenze.  Er residierte Arn mitunter sogar in seinem fränkischen Kloster.  Nach dem Sturz Tassilos durch Karl dem Großen gehörte Arn zu dessen vornehmsten Vertrauensleuten.  So war er auch bei dessen Kaiserkrönung in Rom dabei. Viele seiner Missionen musste er leiten. Er war einer der „Königsboten“. Als solcher war er regelmäßig in ganz Mitteleuropa unterwegs.

Bereits im Jahre 799 fanden unter Arns Vorsitz Synoden in Reisbach, Freising und Salzburg statt.  Ihre Einberufung hatte der Kaiser gewünscht; er ließ auch durch den Neuburger Bischof Sintpert die Beschlüsse der jüngsten fränkischen Reichssynode überbringen.  Vor allem ging es um die Durchsetzung der fränkischen Kirchenverfassung und der römischen Gottesdienstordnung. 

Arn starb am 24.  Januar 821 im Alter von etwa achtzig Jahren, nachdem er fast 36 Jahre lang Bischof und 23 Jahre Erzbischof gewesen war. 

4. Reisbach, der Ort der Synode

„Der Ort, an dem die Synode des Jahres 799 zusammentrat, bot mannigfache Vorteile. Als agilolfingische Herzogspfalz, die nach 788 an den Fiskus übergegangen und damit Königspfalz geworden war, verfügte Reisbach über die nötige Infrastruktur, um die Teilnehmer samt Gefolge aufnehmen und versorgen zu können. Die zentrale Lage im Grenzbereich der vier Diözesen Salzburg, Freising, Regensburg und Passau erleichterte den Bischöfen die Anreise. Der nur wenig entfernte Hof Reith gehörte zum Salzburger Fernbesitz, der im Norden über den Rottachgau und den Vilsgau bis in den Donaugau um Regensburg reichte; der Vorsitzende der Versammlung, Erzbischof Arn, konnte daher bei seinem Aufenthalt in Reisbach unmittelbar auf Ressourcen seiner Kirche zurückgreifen. Gleiches galt beispielsweise für den Abt von Wessobrunn, dessen Kloster seit alters her begütert war. Die Synodalteilnehmer werden also alles in allem äußere Bedingungen vorgefunden haben, die denen von Dingolfing, einer der Hauptpfalzen des bayerischen Stammesgebietes, aber auch den Verhältnissen an den Bischofssitzen, an denen die Mehrzahl der Provinzialsynoden abgehalten wurden, ähnlich waren.

5. Der Inhalt der Beschlüsse

a. Der Prolog der Synodalakten

Der Prolog der Synodalakten dürfte auf der einführenden Rede Arns beruhen. Dieser liefert wichtige Aufschlüsse über die historische Situation und die Zielsetzung der Versammlung. Fast überdeutlich wird die Rolle Karls herausgestellt. Er hat die entscheidenden Vorausset­zungen geschaffen, indem er die Anweisung zur Rangerhöhung Arns gegeben hat. Er war es, der den Bischof Sintpert zur Synode nach Reisbach geschickt. Nach dem Vorbild der fränkischen Synoden, an denen Sintpert teilgenommen hatte, sollten in den bayerischen Bistümern alle Anstrengungen zur Verbesserung der religiösen und moralischen Situation der Gesellschaft unternommen werden. Die Bischöfe werden aufgerufen, über die Vorlagen hinaus auf der Grund­lage der Normen des Kirchenrechts eigene Überlegungen anzustellen. Sie sind sich aber auch bewusst, dass die päpstlichen Instruktionen und die Anweisungen des Königs für sie unbedingt verbindlich sind. Folgerichtig lautet auch die Überschrift zu den fünf in Reis­bach formulierten Kanones, dass sie auf Befehl Karls erlassen worden seien.

b. Die fünf in Reisbach verabschiedeten Kanones

Die in Reisbach verabschiedeten Kanones schärfen zunächst das Gebot der Liebe als Voraussetzung des richtigen Gottesdienstes und der Eintracht des christlichen Volkes ein. Dieses Gebot sollte vor allem für jene gelten, die ein kirchliches Amt bekleiden. Die folgenden Kanones verpflichten Kleriker und Mönche zu strikter Einhaltung der von ihnen gewählten Lebensordnung, verbieten ihnen, sich ohne Erlaubnis des Bischofs an ein weltli­ches Gericht zu wenden, verpflichten jeden, viermal im Jahre Almosen zu geben, stellen eine Fastenordnung für den Klerus auf und ermahnen schließlich dazu, durch Predigt und vorbildliche Lebensführung unter den Völkern für die Kirche zu wirken.

c. Die Beschlüsse von Freising und Salzburg

In Freising und Salzburg ging es um die Abstellung von Miss­ständen im Klerus sowie um Fragen der kirchlichen Disziplin, der Liturgie, der Laienmoral und des Verhältnisses zur weltlichen Gewalt. Es wird gefordert, dass zweimal im Jahr Synoden stattfinden sollen (bereits Beschluss des Konzils von Chalkedon 451). Ferner ging es um die Entrichtung des Zehnten, d.h. also der zehnprozentigen Abgabe, die ein jeder von seinen Einkünften oder Erträgen an die Kirche zu leisten hatte. Gemäß alten kir­chenrechtlichen Vorschriften wird die Vierteilung festgelegt, nach der jeweils ein Teil dem Bi­schof, dem Pfarrklerus, den Armen – die Armenfürsorge war allein Aufgabe der Kirche – und der Kirchenfabrik zukam.

d. Bewertung der Synodenbeschlüsse

„Die umfangreiche Gesetzgebung der Tripelsynode spiegelt das Bemühen wider, fränki­sches Kirchenrecht in die bayerische Kirche zu übernehmen. Die Synodalväter verweisen auf älteres Kirchenrecht, berufen sich aber auch auf Reichssynoden und schließen sich an deren Texte an. Die Vorschriften betreffen alle Stände der Kirche. Grundlage für das christliche Dasein ist das für alle geltende Gebot der Liebe und Eintracht; im Einzelnen hat jeder die Aufgaben zu erfüllen, die seinem Stande angemessen sind. Die Bischöfe haben ihre Leitungsfunktion wahrzunehmen; auf den Synoden sind die Verhältnisse in Kirche und Welt zu diskutieren, hier ist für die Beseitigung von Missständen zu sorgen. Mönche und Kanoniker werden auf die Einhaltung der Regel verpflichtet, von den Priestern wird eine untadelige Lebensführung verlangt. Das religiöse und moralische Leben der Laien wird durch eine Vielzahl von Verordnungen geregelt, die von der Vorschrift anständiger Kleidung beim Gottesdienst über Fastengebote und Almosenverpflichtung bis zur Gestal­tung des ehelichen Lebens reichen. Die allgemeinen Probleme der fränkischen Kirche spiegeln sich in den Einzelvorschriften wider: das Eigenkirchenwesen und die damit ver­bundene Gefahr der Übergriffe adeliger Herren; die Bemühungen, für einen Klerus zu sor­gen, der den in der Seelsorge an ihn gestellten Anforderungen gerecht wird; die Betreuung jener Glieder der Gesellschaft, die – wie Witwen, Waisen, Blinde und Lahme – schutzlos der Willkür anderer ausgesetzt sind; schließlich der Kampf gegen Aberglauben und Zau­berei. Hexen, Zauberer und Wettermacher sollen eingekerkert und zum Geständnis ge­bracht werden, aber man soll sie so behandeln, dass sie nicht das Leben verlieren, sondern die Möglichkeit haben, sich von ihrem sündhaften Treiben zu lösen. Es sind dies alles Themen, die auch in einer anonym überlieferten Synodalansprache anklingen, die die Sorge des Erzbi­schofs um das religiöse Leben der ihm anvertrauten Kirchenprovinz belegen.

6. Erinnerungen an die Reisbacher Synode

a. Das Synodenjubiläum 1999

Vom 2. bis 13. Juni 1999 wurde in Reisbach das 1200jährige Jubiläum dieser Synode begangen.  Als „Denkmal“ für das Jubiläum wurde die Reisbacher Urkirche errichtet. Dr. Ludwig Kreiner erbaute in Zusammenarbeit mit dem Bauhof der Marktgemeinde Reisbach auf Anregung vom Schirmherrn des Jubiläums, Staatsminister Erwin Huber, im Pfarrgarten eine Holzkirche (in verkleinerter Ausgabe), wie sie vor 1200 Jahren gebaut worden sind. Somit kann man sich vorstellen, wie die „Synodenkirche“ von Reisbach ausgesehen hat.

Literarisches Produkt des Jubiläums ist die Festschrift zum Synodenjubiläum mit herausragenden Artikeln zum Jubiläum und vor allem einer Übersetzung des Synodentextes.  

b. Die „Synodensäule“ am Reisbacher Marktbrunnen

Ein weiteres bestehendes Zeugnis für die Reisbacher Synode ist die „Synodensäule“ am Marktbrunnen.

Der vom Bildhauer Joseph Neustifter aus Eggenfelden geschaffene Marktbrunnen in Reisbach beinhaltet Geschichte.

Geht man auf den Brunnen zu, so findet man im Spitz des Dreisäulenbaues die Winkelung des Treppengiebels der Michaelskirche sowie der Dächerarchitektur der den Markt umschließenden Häuserzeilen.  Kommt man näher und betrachtet, so schließt sich dem Beschauer das Geschichtsbuch von Reisbach auf: An der ersten Brunnensäule streiten Bischöfe und Äbte hitzig zum Besten von Hirt und Herde bei der Synode zu Rispach 799, dazu der Text am Brunnensäulenfuß: „Rispach, seine altehrwürdige Kirche, die noch brauchbaren Römerstraßen, die Lage zwischen Regensburg, Salzburg, Freising und das Landgut Reith waren Gründe für die Wahl.- Es kamen: Erzbischof Arno von Salzburg, die Bischöfe Adalbinus von Regensburg, Waldricus von Passau, Almon von Seben, Alto von Freising, Äbte, Priester, Diakone.- Manch Vorschrift ward gegeben für Hirt und Herde.  Der allmächtige Gott möge alles zum Besten wenden für seine heilige Kirche, für unser Baiernland und für unser liebes Rispach.  Amen!“

Literatur:

Pfarrei St. Michael Reisbach (Hg), Die Synode von Reisbach. Festschrift zum 1200jährigen Jubiläum. Reisbach 1999. Darin sind die Artikel enthalten, aus denen der Beitrag „Die Synode zu Reisbach 799“ zusammengestellt ist: Univ. Prof. Dr. Egon Boshof, Passau, Die Synode von Reisbach im Rahmen des bayerischen Synodalwesens. – Der Einladende der Synode: Erzbischof Arno von Salzburg von Univ. Prof. Herwig Wolfram, Wien – Der Synodentext.  Aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. Paul Mai Regensburg – Die „Synodensäule“ am Reisbacher Marktbrunnen von Joseph Lettl, Reisbach-Griesbach